Warum wir Veränderungen nicht mögen
- ljaencke9
- 16. Apr.
- 2 Min. Lesezeit

Wie geht unser Gehirn mit Veränderung und Unsicherheit um? Diese Frage ist heute aktueller denn je. Wir leben in einer Welt des rasanten Wandels – digital, sozial, kulturell. Doch unser Gehirn, das Ergebnis einer Millionen Jahre alten evolutionären Entwicklung, ist auf Stabilität programmiert.
Als biologische Wesen tragen wir Grundmuster in uns, die tief in unserer Tiergeschichte verwurzelt sind: Wir sind neugierig, suchen Sicherheit und Zugehörigkeit, verteidigen unser Revier, lieben Routinen – und empfinden Veränderungen häufig als Bedrohung. Diese Mechanismen dienten lange dem Überleben. Die kulturelle und technologische Entwicklung vollzog sich jedoch in einem Tempo, mit dem unser Gehirn kaum Schritt halten kann.
Unser Gehirn ist ein energieintensives Organ. Trotz seiner geringen Masse verbraucht es ein Viertel unserer gesamten Energie. Daher bevorzugt es Automatismen, Routinen und Gewohnheiten – sie sparen kognitive Ressourcen. Gewohnheiten strukturieren unser Leben, geben Sicherheit und Stabilität. Sie sind tief verankert, schwer zu löschen und mit positiven Gefühlen verbunden – Stichwort: Dopamin.
Die Kehrseite: Veränderungen fordern das Gehirn heraus. Neues bedeutet für unser Nervensystem Unsicherheit. Die ersten Reaktionen sind defensiv: Stress, emotionale Irritation, Rückzug. Der Frontalkortex – zuständig für Planung, Entscheidung, Fokussierung – wird aktiviert. Er braucht viel Energie und Kapazität. Stresshormone wie Cortisol erschweren zusätzlich den Zugang zu kognitiven Ressourcen.
Dabei zeigt sich ein spannendes Phänomen: Der Zusammenhang zwischen Erregung und Leistung folgt einer umgekehrt U-förmigen Kurve. Ein gewisses Maß an Erregung ist notwendig, um motiviert und leistungsfähig zu sein – zu viel Erregung jedoch blockiert uns. Es entstehen Angst, Reizüberflutung und Erschöpfung. In der modernen digitalen Welt ist genau das ein häufiges Problem: Reize überfluten uns, das Gehirn gerät unter Dauerstress. Multitasking – oft glorifiziert – ist dabei keine Lösung. Im Gegenteil: Wir sind evolutionär nicht dafür gemacht. Multitasking führt zu kognitiver Erschöpfung und Überforderung.
Und doch: Das Gehirn ist plastisch. Es kann sich verändern, anpassen, lernen – wenn man ihm Zeit, Struktur und gezielte Reize gibt. Positive Verstärkung, Belohnung, kleine Schritte, soziale Unterstützung – all das hilft, mit Veränderungen besser umzugehen. Das bedeutet aber auch: Veränderung braucht Begleitung, braucht Verständnis für die Funktionsweise unseres Denkorgans.
Ein weiteres Hindernis bei Veränderungen ist die kognitive Dissonanz. Menschen neigen dazu, bestehende Überzeugungen zu verteidigen, auch wenn sie durch Fakten widerlegt werden. Man weiß oft, was richtig wäre, setzt es aber nicht um – die sogenannte „Knowing-Doing-Dissonanz“. Deshalb reicht Wissen allein nicht. Es braucht emotionale Verankerung, Motivation, Sinn – erst dann ist echte Veränderung möglich.
Ein zentrales Element ist die Motivation. Menschen unterscheiden sich darin, ob sie von Erfolg angezogen oder von Misserfolg abgeschreckt werden. Wichtig ist: Wahre Motivation kommt von innen. Wer Veränderung gestalten will, braucht Commitment. Die Verantwortung beginnt und endet bei einem selbst – oder wie es ein bekanntes Motto sagt: „Love it, leave it or change it“.
Fazit: Unser Gehirn liebt Vertrautes. Veränderungen bedeuten Stress – besonders in einer Welt, die sich ständig neu erfindet. Aber: Mit dem richtigen Verständnis für die neuropsychologischen Grundlagen, mit Geduld und Menschlichkeit, können wir unser Gehirn beim Wandel unterstützen. Es ist nicht digital geboren – aber es kann digital lernen. Vorausgesetzt, wir helfen ihm dabei.
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