Bindung - der Klebstoff des Lebens
- ljaencke9
- 18. Sept.
- 2 Min. Lesezeit

Der größte Feind des Menschen war nie das wilde Tier, es war immer der Mensch selbst. Genau deshalb mussten wir lernen, uns an vertrauenswürdige Personen zu binden. Bindung ist der psychische Mechanismus, der uns kleine Inseln von Vertrauen inmitten einer unsicheren Welt schafft. Ohne sie wären wir nicht überlebensfähig, mit ihr haben wir Kultur, Kooperation und Gesellschaft erschaffen. Aber: Dieses Vertrauen ist knapp und wird nur wenigen zuteil.
Die Bindung ist eine der elementarsten psychischen Funktionen des Menschen. Sie ist tief in unserer Biologie verankert und hat über Jahrtausende hinweg unser Überleben gesichert. Ohne Bindung gäbe es uns schlicht nicht. Ein neugeborenes Kind ist vollkommen hilflos. Es kann nicht laufen, nicht für Nahrung sorgen, nicht einmal seinen Körper zuverlässig regulieren. Nur die enge, verlässliche Beziehung zu einer Bezugsperson ermöglicht es, diese ersten Lebensjahre zu überstehen.
Schon in den ersten Tagen nach der Geburt wird der Grundstein für die Bindung zu spezifischen Personen gelegt: durch Körperkontakt, Geruch, Stimme, Blick. Das kleine Gehirn lernt rasch, wer Sicherheit und Schutz bietet. Neurobiologisch gesehen spielen dabei Oxytocin, Dopamin und andere Botenstoffe eine zentrale Rolle. Sie schaffen Wohlgefühl und Vertrauen, wenn Nähe und Fürsorge vorhanden sind. John Bowlby sprach deshalb zu Recht davon, dass Bindung ein ebenso grundlegendes Bedürfnis sei wie Hunger oder Durst.
Doch Bindung endet nicht mit der Kindheit. Auch Erwachsene suchen Nähe und Trost. Der Partner, die enge Freundin, die Familie. Sie alle übernehmen Funktionen, die ursprünglich von den Eltern erfüllt wurden: Sie beruhigen uns, sie geben uns Rückhalt, sie machen uns mutig, die Welt zu erkunden. Bindung ist also nicht nur ein Überlebensmechanismus der frühen Kindheit, sondern eine lebenslange Ressource, die uns in Krisen stabilisiert und unser seelisches Gleichgewicht erhält.
Damit Bindung entsteht, braucht es intensiven Kontakt und Kommunikation. Sie entsteht nicht abstrakt, sondern in tausend kleinen Momenten: im Zuhören, im gegenseitigen Verstehen, im geteilten Schweigen, in der Verlässlichkeit des Anderen. Vertrauen, und damit Bindung werden durch Kommunikation und unser Verhalten immer wieder neu erarbeitet. Und hier zeigt sich eine interessante Begrenzung: Wir können unser Vertrauen nicht beliebig verteilen. Bindung richtet sich immer auf eine kleine Gruppe von Menschen.
Warum? Weil der Mensch für den Menschen nicht nur Gefährte, sondern auch Gefahr ist. In der Geschichte der Menschheit waren es selten wilde Tiere oder Naturkatastrophen, die unser Überleben bedrohten. Es waren meist andere Menschen: Rivalen, Feinde, Verräter. Deshalb musste unser Gehirn Strategien entwickeln, um zu unterscheiden, wem wir trauen dürfen und wem nicht. Kommunikation und wiederholter Austausch sind das Werkzeug, mit dem wir diese Entscheidung treffen.
Bindung ist also selektiv. Sie schafft Inseln von Sicherheit in einer Welt, die potenziell feindselig ist. Wir binden uns eng an jene, die uns durch ihr Verhalten Vertrauen schenken. Und wir halten Distanz zu denen, die uns gefährlich werden könnten. Dieses Prinzip schützt uns. Es erklärt auch, warum unser innerster Kreis so klein bleibt: die Familie, die engsten Freunde, vielleicht eine Handvoll Menschen, die uns wirklich nahestehen.
Bindung ist die unsichtbare Nabelschnur, die uns auch als Erwachsene durchs Leben trägt. Sie gibt uns Halt, Sicherheit und Orientierung. Sie ist die Voraussetzung für Vertrauen und Kooperation und damit für das, was wir Kultur nennen. Aber sie ist zugleich ein Filter, der uns lehrt, dass Vertrauen kostbar ist und nicht beliebig verschenkt werden darf.



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