Ich habe da so meine Meinung – und daran ändert sich auch nichts!
- ljaencke9
- 26. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Warum Meinungen so fest sitzen und wie Alter, Bildung, Religion und Unwissenheit Meinungen beeinflussen.

Meinungen sind wie Zäune: Sie grenzen ab, schaffen Ordnung und sind oft erstaunlich stabil, auch wenn sie schon lange nicht mehr dem Gelände entsprechen. Als Neurowissenschaftler fragt man sich: Warum eigentlich? Warum ändern Menschen ihre Meinung so ungern, obwohl es doch ständig neue Informationen, Einsichten und Perspektiven gibt?
Die Antwort: Meinungen sind keine bloßen Gedankenprodukte. Sie sind tief in unserer Biologie, Psychologie und sozialen Umwelt verankert. Und sie werden umso stabiler, je mehr Faktoren wie Alter, Bildung, Religion oder schlicht Unwissenheit ins Spiel kommen. Wer verstehen will, warum Meinungen so hartnäckig sind, muss ins Gehirn schauen.
Alter: Die Meinung reift – oder versteinert
Es klingt paradox: Mit zunehmendem Alter wachsen Lebenserfahrung, Weisheit und Gelassenheit. Und doch zeigt sich, dass viele ältere Menschen eher an ihren Meinungen festhalten als jüngere. Das liegt nicht an Sturheit, sondern an neurobiologischen Sparmechanismen: Das Gehirn bevorzugt vertraute Denkwege, weil sie effizient sind. Neue Informationen müssen sich gegen Jahrzehnte eingeübter mentaler Routinen durchsetzen, eigentlich ein unfairer Wettkampf.
Gleichzeitig wächst mit dem Alter die Neigung zur kognitiven Kohärenz: Alles soll irgendwie zusammenpassen, bitte ohne Dissonanz. Wer mit 70 plötzlich seine Meinung zur Genderdebatte oder zur Migration radikal ändern würde, müsste auch sein Selbstbild umkrempeln. Und das ist anstrengender als jede Sudoku-App.
Bildung: Mehr Graustufen, weniger Schlagworte
Bildung erweitert den Horizont, aber nicht automatisch die Meinungsflexibilität. Was Bildung tatsächlich fördert, ist die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen Fakt und Meinung, zur Reflexion, zur Selbstkorrektur. Wer gelernt hat, dass Wissen vorläufig ist, kann auch akzeptieren, dass die eigene Meinung falsch sein könnte.
Allerdings gilt: Bildung schützt nicht vor ideologischer Engführung. Akademische Titel sind keine Immunisierung gegen Denkfehler – oft nur Tarnkappen für besonders elegante. Trotzdem: Wer gelernt hat, Quellen zu prüfen, Ambivalenzen auszuhalten und Argumente statt Affekte zu gewichten, hat zumindest bessere Voraussetzungen, um Meinung und Welt in ein realistisches Verhältnis zu setzen.
Unwissenheit: Das Selbstvertrauen der Ahnungslosen
Besonders faszinierend – und leider gesellschaftlich hochrelevant – ist der sogenannte Dunning-Kruger-Effekt: Menschen mit wenig Wissen überschätzen oft ihre Kompetenz. Warum? Weil ihnen die Einsicht fehlt, wie viel sie nicht wissen. Das Ergebnis: Meinungen, die mit größter Überzeugung vorgetragen werden – aber auf wackeligstem Fundament stehen.
Solche Meinungen sind kaum zu erschüttern, weil sie auf einer trügerischen Selbstsicherheit beruhen. Wer nichts weiß, braucht keine Zweifel. Das Problem: Je sicherer die Meinung klingt, desto glaubwürdiger wirkt sie – zumindest für andere Unwissende. Und so verstärken sich Unkenntnis und Meinung in einer Art toxischem Resonanzsystem.
Religion: Die sakrale Meinung
Religiöse Überzeugungen verleihen Meinungen eine besondere Stabilität – nicht, weil Gläubige per se dogmatischer wären, sondern weil der Begründungsrahmen transzendent ist. Wer glaubt, dass etwas „von Gott so gewollt“ sei, benötigt keine empirischen Belege. Religion liefert moralische Raster, die Meinungen emotional aufladen und rationaler Überprüfung entziehen.
Zugleich kann Religion aber auch Demut lehren, Zweifel zulassen und Widersprüche aushalten – je nach Tradition, Bildung und persönlicher Reife. Nicht die Religion an sich ist das Problem, sondern die Verabsolutierung der eigenen Sicht als einzig wahre. Und diese Tendenz findet sich bekanntlich auch in säkularen Ideologien.
Fazit: Meinung ist nicht gleich Meinung
Wer eine Meinung hat, zeigt nicht nur, wie er denkt – sondern auch, woher er kommt, was er gelernt hat, wie er glaubt und wie viel er (nicht) weiß. Alter, Bildung, Religion und Wissen sind keine Garantie für gute Meinungen – aber sie prägen maßgeblich, wie offen oder fest eine Meinung ist, wie differenziert oder simpel, wie reflektiert oder reflexhaft.
Und während man früher sagte: "Mit dem Alter kommt die Weisheit", könnte man heute hinzufügen:
Mit dem Internet kommt vor allem die Meinung.
Und darum gilt:
Eine Meinung zu haben, ist leicht.
Sie zu hinterfragen, ist schwer.
Und sie zu ändern – das ist oft ein Zeichen von Größe.
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