Warum nicht (immer) die Klügsten führen – Ein psychologischer Blick auf Macht und Vereinfachung
- ljaencke9
- vor 2 Tagen
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Oft denkt man, dass sich die Schlausten in politischen Parteien durchsetzen. Doch das ist mitnichten der Fall. Komplizierte psychologische Mechanismen sind am Werk, um in geschlossenen Gruppen Führungspersönlichkeiten nach oben zu spülen. Nicht immer finden sich dann geeignete Kandidaten, die den komplexen Aufgaben gerecht werden können. Deshalb sind unabhängige Kontrollmechanismen zwingend notwendig.
Wir neigen dazu zu glauben, dass Intelligenz, Weitsicht und moralische Integrität früher oder später in Führungspositionen münden. Doch empirisch zeigt sich ein anderes Bild: Oft setzen sich nicht die Klügsten durch, sondern jene, die laut, überzeugt und präsent auftreten – unabhängig von ihrer tatsächlichen Kompetenz.
Ein zentraler Mechanismus dahinter ist die Kompetenzillusion. Menschen verwechseln Selbstbewusstsein mit Befähigung. Wer souverän auftritt, gilt als kompetent. Wer zögert oder reflektiert, wirkt schnell schwach – selbst wenn er mehr weiß. Der Dunning-Kruger-Effekt[1] bringt es auf den Punkt: Inkompetente neigen zur Selbstüberschätzung, Kompetente zur Selbstkritik.
Auch in sozialen Gruppen verstärkt sich dieser Effekt: Wer viel redet, wird als führungsstark wahrgenommen – unabhängig vom Inhalt. So entsteht paradoxerweise der Eindruck, dass nicht Kompetenz Einfluss erzeugt, sondern umgekehrt Einfluss als Kompetenz erscheint.
In einer Medienwelt, die auf Aufmerksamkeit und Geschwindigkeit ausgerichtet ist, gewinnen daher nicht die Differenzierten, sondern die Vereinfacher. Populismus ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer psychologischen Systemlogik: Wer einfache Erzählungen liefert, wer Feindbilder anbietet und emotionale Anschlussfähigkeit erzeugt, gewinnt Zustimmung – oft unabhängig vom Wahrheitsgehalt.
Doch Vereinfachung ist nicht nur problematisch – sie ist auch funktional. Unser Gehirn arbeitet ökonomisch. Komplexität ist anstrengend. Nicht alle verfügen über dasselbe Bildungsniveau, dieselbe kognitive Kapazität. Wer kommunizieren will, muss anschlussfähig bleiben – auch auf Kosten der Tiefe. Biologisch betrachtet ist das kein Defizit, sondern ein Anpassungsmechanismus.
Die Herausforderung liegt also nicht im Verzicht auf Vereinfachung, sondern im balancierten Umgang mit ihr. Die Kunst besteht darin, Gedanken zu verdichten, ohne sie zu verfälschen. Das gelingt nur wenigen – aber es wäre ein echtes Führungsmerkmal.
Die eigentliche Tragik liegt darin, dass viele kluge Menschen sich selbst im Weg stehen: Sie zweifeln, wo andere handeln. Sie wägen ab, wo andere behaupten. Ihre intellektuelle Redlichkeit wird zur Bremse in einem System, das Wirkung vor Wahrheit stellt. Wer die Welt in ihrer Komplexität sieht, erkennt, wie wenig er weiß – und bleibt oft am Rand stehen, während andere längst das Mikrofon ergriffen haben.
[1] Kruger, J., & Dunning, D. (1999). Unskilled and unaware of it: how difficulties in recognizing one’s own incompetence lead to inflated self-assessments. Journal of Personality and Social Psychology, 77(6), 1121–1134.
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