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Wie oft sind wir überzeugt, das Richtige zu tun? Wir sind geneigt, aus Überzeugung zu agieren, obwohl es aus anderer Perspektive unsinnig erscheint. Das Gefühl des Überzeugtseins oder das Richtige zu machen, reicht oft vollkommen aus, unser Verhalten zu leiten. Wissenschaftliche, also logische nachvollziehbare Erkenntnisse können dann diese Überzeugungen nicht korrigieren, sondern wir versuchen dann, unsere Überzeugungen durch entsprechende Interpretationen aufrechtzuerhalten. Wir schützen unsere Überzeugungen gewissermaßen vor Fakten. Bei der Suche nach Argumenten, die uns helfen, unsere Überzeugungen aufrechtzuerhalten, sind wir mitunter sehr erfinderisch.


Kennen wir diese Phänomene nicht aus unserem aktuellen Alltag? Querdenker, Impfgegner, Verschwörungstheoretiker, Religionsfanatiker, politische Ideologen, Moralapostel oder Besserwisser ohne tiefergehenden Faktenhintergrund sind interessante Beispiele. Unser Alltag ist voll davon. Mitunter drängt sich die Vermutung auf, dass sich die Anzahl der eifernden Überzeugten ständig vermehrt. Manche vermuten sogar, dass etwas mit unseren Zeitgenossen nicht stimmen würde. Im Grunde ist aber alles mehr oder weniger im grünen Bereich, denn dieses Denken und die damit verbundene Einstellung ist ein normaler Mechanismus, der sinnvoll ist, auch wenn er aus anderen Perspektiven betrachtet, grotesk erscheint. Es geht um sogenannte kognitive Dissonanzen, die wir mit Leichtigkeit aus der Welt schaffen können.


Leon Festinger und die kognitive Dissonanz

Anfang der 1950-er Jahren infiltrierte der junge Sozialpsychologe Leon Festinger und zwei Mitarbeiter eine Gruppe von Menschen, die glaubten, dass die Welt am 21. Dezember 1954 enden würde. Sie wollten wissen, was mit der Gruppe passieren würde, wenn die Prophezeiung scheiterte. Diese Gruppe wurde von einer bis dahin mehr oder weniger unbekannten Hausfrau (Marian Keech, die eigentlich Dorothy Martin hieß) in Wisconsin/USA gegründet. Sie gab an, angeblich Nachrichten von einer Außerirdischen namens Sananda vom Planeten Clarion empfangen zu haben. Aufgrund dieses Kontaktes kam Keech zu spektakulären Vorhersagen über die Zukunft der Menschheit und der Erde. Konkret sagte sie eine gewaltige, von Gott gesandte Flut vorher, die alle Menschen auf der Erde töten würde. Sie nannte sogar ein konkretes Datum für diesen Weltuntergang, nämlich den 21. Dezember 1954. Nur jene Personen, die sich ihr und ihrer Sekte anschließen würden, könnten noch gerettet werden – sehr spektakulär übrigens, nämlich mittels fliegender Untertassen der Außerirdischen vom Planeten Clarion. Die Presse gab dieser Sekte deshalb den Namen UFO-Sekte. Natürlich blieb die vorhergesagte Flut aus. Der 21. Dezember verging als ganz normaler Tag. Bei den Mitgliedern der Sekte passierte nach dem Ausbleiben der Katastrophe etwas sehr Bemerkenswertes. Statt das Versagen der Sektenführerin zu akzeptieren oder anzuprangern und sich von ihr abzuwenden, sahen sich die Anhänger in ihrem Glauben umso mehr bestärkt! Sie behaupteten einfach, dass ihre Gebete von Gott erhört worden seien und ihn umgestimmt hätten. Wie auch immer, bis heute ist die Welt nicht untergegangen und es sind auch keine UFOs gesichtet worden, welche die Anhänger dieser Sekte von der Erde zum Planeten Clarion transportiert haben. Die Sektenmitglieder blieben bei ihren Grundüberzeugungen. Was sich allerdings änderte, war der Eifer, mit dem sie andere Leute von ihrem Glauben zu bekehren versuchten. Sie wurden immer überzeugter und emotionaler. Tatsächlich soll diese Sekte bis heute bestehen.


Wie reduziert man kognitive Dissonanzen

Aber wie kann man dieses offensichtliche unlogische Verhalten erklären? Bei den Anhängern der UFO-Sekte kam es zu einem Konflikt zwischen der Erwartung und der realen Erfahrung. Zur Lösung des Konfliktes standen den Sektenanhängern letztlich nur zwei Alternativen zur Verfügung, nämlich die eigene Meinung zu ändern – oder die Meinung aller anderen. Da die eigene Meinung derartig fest in ihrem Gedankensystem verankert war, kam nur noch die zweite Möglichkeit in Betracht, und fortan begannen sie, mit missionarischem Eifer andere Personen von ihrem Glauben zu überzeugen. Kennen wir das nicht auch bei den aktuellen Überzeugten, die sich eifernd für bestimmte teils unsachliche Ansichten einsetzen? Man mag überzeugt sein, dass die Anhänger der UFO-Sekte unterbelichtete oder geistig verwirrte Personen gewesen sind. Es ist möglich, dass in dieser Gruppe der Anteil der psychisch Auffälligen größer als in der Normalbevölkerung ist. Das wissen wir nicht. Was wir aber wissen ist, dass das grundsätzliche Verhaltensmuster, dass diese Personen offenbaren, eben nicht pathologisch, sondern schlichtweg normal ist. Leon Festiger und seine Kollegen orteten die Ursache für dieses Denkens in einem Phänomen, das sie als kognitive Dissonanz bezeichneten. Der Umgang mit der kognitiven Dissonanz folgt bei allen Menschen gemäß fest verankerter Mechanismen, die prinzipiell immer gleichsinnig ablaufen. Widersprüche zwischen Meinungen und Gedanken lösen bei uns eine Art „Unbehagen“ aus. Dadurch werden überwiegend unbewusste Denktätigkeiten in Gang gesetzt, um die Widersprüche zu beseitigen. Wir fügen z. B. neue und stimmige Gedanken zu unserem Gedankenspeicher hinzu, die wir aus unserem Gedächtnis herauskramen oder sie schlichtweg einfach erfinden. Beliebt ist auch das Leugnen, Ignorieren oder Verdrängen unstimmiger (also dissonanter) Gedanken. Auch das können wir exzellent. Hierbei hilft ein weiterer Mechanismus, nämlich die funktionelle Blindheit, die unsere Aufmerksamkeit nur auf das lenkt, was uns interessiert und was unsere Überzeugungen aufrechterhält.

Dass wir dazu neigen, Dissonanzen zu vermeiden und sie zu verringern oder zu eliminieren versuchen, ist einem grundsätzlichen Arbeitsprinzip unseres Gehirns geschuldet. Es versucht nämlich, ständig mit einem stabilen Weltbild zu versorgen. Gerät dieses Weltbild aus der Balance, ist es nicht mehr ausgewogen, dann muss etwas geschehen, damit es das Gleichgewicht zurückgewinnt. Denn nur in stabilen Welten finden wir uns gut zurecht und fühlen uns einigermaßen sicher.


Wie löst man kognitive Dissonanz

Dissonanzen verschwinden, wenn das zugrunde liegende Problem gelöst wird. Dabei hilft der Wechsel des Blickwinkels. Sie bieten neue Lösungswege. Eine andere Möglichkeit der Dissonanzlösung ist, wenn Wünsche, Einstellungen und Motive, welche die Grundlage der dissonanten Gedanken sind, sich ändern oder aufgegeben werden. Man kann die durch Dissonanz auftretende Erregung auch auf andere Ursachen zurückführen, den Widerspruch herunterspielen oder sich als Opfer eines Zwanges darstellen. Kognitive Dissonanzen verfestigen sich auch, wenn man sich mit Personen umgibt, welche die gleichen Überzeugungen pflegen. Wenn alle oder viele Menschen um einen herum, das Gleiche denken und die gleichen Überzeugungen pflegen, ist das angenehm und spendet Sicherheit. Will man sich von seinen Überzeugungen löst, hilft auch ein Entfernen aus der Gruppe der Gleichgesinnten. Damit nimmt auch die Bedeutung der Überzeugung ab.


Kognitive Dissonanz – heute

Bei Querdenkern, politischen Ideologen, Moralaposteln, religiösen Eiferern oder faktenfreien Besserwissern stimmt das Weltbild nicht mit den Fakten überein. Je wichtiger für sie ihr Weltbild ist und je überzeugter sie sind, desto stärker ist die kognitive Dissonanz. Wie wir gesehen haben, nutzen die Menschen verschiedene Mechanismen, um das Weltbild zu schützen. Manche werden sich nie überzeugen lassen. Alles wird gesucht, was zum jeweiligen Weltbild passt. Wenn es nicht passt, wird es passend gemacht. Wird man argumentativ angegriffen oder gar mit anderen Ansichten konfrontiert, verteidigt man sich – vorwiegend emotional. Deshalb wirken diese Personen oft uneinsichtig und aus anderen Perspektiven betrachtet merkwürdig.

Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass das Beharren auf unseren Überzeugungen prinzipiell nichts Schlechtes ist. Stellen Sie sich vor, sie müssten ständig ihre Überzeugungen verändern. Das wäre für unsere Verhaltenssicherheit kontraproduktiv. Deshalb muss die Komplexität der Welt, des Lebens und der Zukunft mit unseren Lebensmodellen in Übereinstimmung gebracht werden. Dazu trägt auch eine stabile Welt bei, die wir uns letztlich auf der Basis unseres Wissens und unserer Einstellungen zurecht interpretieren. Wenn uns unsere Interpretationen auch noch von einer ausreichend großen Gruppe von Menschen geteilt werden, umso besser. Dann sind wir nicht allein und werden von der sicheren Gruppe getragen.


Trotzdem müssen wir festhalten, dass Überzeugungen unser Leben gelegentlich schwer machen, vor allem dann, wenn verschiedene Gruppe mit unterschiedlichen Überzeugungen aufeinandertreffen. Man sieht dies recht häufig im politischen und religiösen Alltag. Zum Glück hat die moderne Zivilisation dazu beigetragen, dass wir die Auseinandersetzung zwischen den Überzeugungen einigermaßen elegant und vor allem friedlich bewältigen. Trotzdem müssen wir festhalten, dass Überzeugungen unser Leben gelegentlich erschweren, vor allem dann, wenn verschiedene Gruppe mit extrem unterschiedlichen Überzeugungen aufeinandertreffen.

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Der Mensch ist ein Tier. Oder, der Mensch ist eigentlich ein Tier. Dieser Satz mag so manchen aus unterschiedlichen Gründen erschrecken. Den einen, weil das Wörtchen „eigentlich“ dem Satz eine merkwürdige Bedeutung verleiht. Sprachpuristen vermuten hier gar ein überflüssiges Wort, das man problemlos streichen kann, denn es trägt zur Aussage nicht viel bei. Viel störender ist für viele die unmissverständliche Aussage, dass der Mensch ein Tier sei.


Ich bin sicher, dass so mancher beim Lesen dieses Satzes zusammenzuckt. Der Mensch ist ein Tier? Was soll das denn? Sind wir nicht vernunftbegabte Wesen, die unser Schicksal selbst bestimmen? Wir fliegen mit Raumschiffen in das Weltall, schreiben Romane, komponieren Musikstücke und beschäftigen uns mit vielen Sachen, die Tiere nie in den Sinn kämme, zu machen. Also können wir keine Tiere sein. Das lehrte uns bereits der berühmte und von uns so verehrte Philosoph Descartes, für den es deutliche Unterschiede zwischen Mensch und Tier gab. Mensch und Tier waren für ihn qualitativ unterschiedlich. Der Mensch soll mit einer Ratio, also Vernunft ausgestattet sein, das Tier nicht. Das Tier handelt wie ein Automat und wird durch Instinkte gesteuert. Der Mensch dagegen denkt. „Cogito ergo sum“, ich denke, also bin ich, ist die in diese schöne Formulierung gegossene Quintessenz von René Descartes. Tiere denken eben nicht, sie handeln einfach. Warum dachte Descartes so?


Was veranlasste ihn, dies so niederzuschreiben? Wir wissen es natürlich nicht und können deshalb nur spekulieren. Er lebte zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, als die Menschen in Mitteleuropa einander abschlachteten, folterten und sich wegen kleiner Unterschiede in der Ausübung des christlichen Glaubens hassten. René Descartes war nicht nur Philosoph und Naturwissenschaftler, er war auch Soldat oder besser gesagt Söldner in den wilden Armeen, die durch das geschundene Deutschland zogen und soviel Unheil über das Land brachten. Im Grunde reihten sich seinerzeit Kriegsverbrechen an Kriegsverbrechen. Sicher war Descartes Zeuge von grauenvollen Ereignissen. Es verwundert deshalb, dass er dem Menschen eine besondere Denkfähigkeit und Vernunft zuschrieb, obwohl er doch erlebt haben musste, wie unvernünftig er sich in diesem Krieg verhalten hat. Oder glaubte Descartes, dass der Krieg und die Ursachen dieser Auseinandersetzungen vernünftig waren? Wie auch immer, aus der heutigen Sicht müsste René Descartes eigentlich zu anderen Schlussfolgerungen gelangt sein. War der Mensch damals nicht unvernünftig und völlig fehlgeleitet? Offenbar hat dies René Descartes nicht erkannt. Er war jedenfalls überzeugt, dass wir rationale Wesen seien, die sich von den Tieren qualitativ unterscheiden würden.


René Descartes war zwar Naturwissenschaftler, aber in einer Zeit, als man über das Gehirn und über die Art und Weise, wie der Mensch funktioniert, nichts wusste. Descartes war wie viele seiner gelehrten Zeitgenossen der Meinung, dass die psychischen Funktionen in den Hohlräumen des Gehirns (also den Ventrikeln) zusammengefasst seien. Dem Gehirn mass er keine Bedeutung bei. Es sei einfach ein Kühlorgan. Die psychischen Funktionen (Denken, Aufmerksamkeit etc.) und die Seele seien staubartige oder fluide Gebilde, die nicht objektiv fassbar seien. Diese seien in den Ventrikeln gefangen und würden darüber ihre Einflüsse auf den Körper entfalten. Insofern teilte er die Ansicht des Philosophiegiganten Aristoteles, der bereits 300 vor Christus diese These aufstellte. Descartes präzisierte diese Annahme bezüglich der Wechselwirkung zwischen den psychischen Funktionen und dem Körper, indem er annahm, dass die Seele und damit die psychischen Funktionen auf einen winzigen Hirnbereich einwirken würden, über den dann der Körper kontrolliert würde. Diesen verantwortungsvollen Hirnbereich ortete er in der Zirbeldrüse, einem winzigen, maximal 1 Zentimeter langen und weniger als einem Gramm schweren Organ. Descartes war überzeugt, dass die Zirbeldrüse das zentrale Organ sein müsste, mit der die Seele mit dem Körper in Wechselwirkung treten würde. Warum ist nicht eindeutig bekannt. Die Zirbeldrüse ist das einzig nicht paarig vorhandenen Gehirnteil. Das war seinerzeit auch Descartes aufgefallen. Offenbar ließ die anatomische Besonderheit Descartes aufhorchen und diesem Miniorgan essenzielle Aufgaben zukommen.


Vereinfacht nahm Descartes an, dass die Seele über die Zirbeldrüse den Körper über ein Röhrensystem hydraulisch beeinflussen würde. Wir müssen an dieser Stelle nicht näher auf diesen abenteuerlichen Mechanismus eingehen, denn diese Vorstellung ist aus heutiger Sicht falsch.


Wir wissen heute, dass der Körper nicht durch ein hydraulisches System kontrolliert wird. Die winzige Zirbeldrüse ist für die Kontrolle des Schlaf-wach-Rhythmus verantwortlich und sondert je nach vorherrschenden Lichtverhältnissen das Hormon Melatonin ab. Wir wissen auch, dass die Seele und die psychischen Funktionen nicht in den Ventrikeln gefangen sind. Wir wissen heute, dass das Gehirn ein komplexes Netzwerk von Neuronen ist, das nach biophysikalischen Prinzipien arbeitet und die psychischen Funktionen generiert. Wenn es so etwas wie die Seele gibt, dann wird sie durch die neurophysiologische und neurochemische Aktivität dieses Netzwerkes generiert.


Heute unterscheiden wir Tiere und Menschen nicht mehr kategorial. Menschen sind auch Tiere, die sich im Verlauf der Evolution aus gemeinsamen Vorfahren mit den heutigen Affen entwickelt haben. Etwa vor 4–4,5 Millionen Jahren entwickelte sich der erste Urmensch, der Australopithecus. Er war ungefähr so gross wie ein Schimpanse und sein Gehirn wog mit 500 Gramm in etwa so viel, wie das Gehirn eines neugeborenen modernen Menschen. Gemäß dem modernen biologischen Ordnungsprinzip gehört der moderne Mensch (der Homo sapiens) mit den Urmenschen und allen Affenvarianten zu der Ordnung der Primaten. Beschränkt man sich auf die Menschenaffen (Schimpansen und Gorillas), ergibt sich die kleinere und speziellere Familie der Hominiden. Ohne Affen bilden die Urmenschen und modernen Menschen die Gattung Mensch.


Aufgrund des gemeinsamen evolutionären Ursprungs mit den Affen teilen wir sehr viele Gemeinsamkeiten. Körperbau, Gene und vor allem Verhalten bzw. Verhaltensantrieb sind bei Affen und Menschen sehr ähnlich. Wir teilen mit den heutigen Affen die Neugier, das Streben nach Macht, die Suche nach Sicherheit und Zuneigung, die Neigung unser räumliches und gedankliches Revier zu verteidigen und die Wertschätzung von Vertrauen und Kooperation. Eine Besonderheit des modernen Menschen ist das Gehirn mit seinen 80 Milliarden Nervenzellen. Davon befinden sich gut 12 Milliarden Nervenzellen im Neocortex, dem Hirnteil, das sich beim Menschen besonders stark vergrössert und entwickelt hat. Hier finden sich die Netzwerke, die für unser Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Handeln verantwortlich sind.

Bemerkenswert ist, dass kein Tier auf dieser Welt über so viel Nervenzellen im Cortex verfügt wie der Mensch. Selbst die Gehirne der Elefanten und Wale mit ihren drei- bis fünfmal grösseren Gehirnen verfügen über weniger corticale Neurone als der Cortex des Menschen. Diese grossen und reich miteinander verbundenen Neuronennetzwerke generieren auch das Gefühl unserer Identität; wenn man so will, auch das, was man im Allgemeinen auch als unsere Seele auffasst. Man könnte auch sagen, das, was wir glauben zu sein, nichts anderes ist als das Produkt neuronaler Aktivität. Dieses grosse, ja bemerkenswert grosse Netzwerk macht auch das mitunter merkwürdige menschliche Denken und Handeln möglich. Kein Tier kann so elegant die Welt interpretieren, wobei die Interpretationen immer von den individuellen Erfahrungen abhängen. Deshalb generiert der Mensch so viele Meinungen, die oft meilenweit voneinander entfernt sind und unversöhnlich sind. Das Gehirn des Menschen ist ein wildes Interpretationsorgan, das sich praktisch alles einbilden kann. Diese Einbildungskraft kann uns schöne Momente gewähren, sie kann aber auch den Menschen in undurchdringliche Irrgärten des Denkens und Selbsteinschätzung führen.


Wie auch immer, welche Konsequenzen müssen wir aus der Tatsache ableiten, dass der Mensch ein Tier ist?

  • Wir Menschen sind nichts Besonderes und Aussergewöhnliches. Wir sind bestenfalls ein besonderes Tier.

  • Insofern war Descartes Vermutung (oder besser gesagt seine Behauptung) falsch. Es existiert kein kategorialer Unterschied zwischen Menschen und Tieren. Es existieren kontinuierliche Unterschiede zwischen Mensch und den anderen Tieren.

  • Ob wir Menschen ein evolutionsstabiles Wesen sind, dass die Welt beherrscht und die Welt über längere Zeiträume bevölkern wird, ist eher unwahrscheinlich. Die evolutionsstabilste Kreatur auf dieser Welt ist die Kakerlake. Sie bevölkert die Welt seit circa 700 Millionen Jahre ohne nennenswerte Veränderung des Körperbaus und des Verhaltens. Ob der Mensch dies schaffen wird, wird sich zeigen. Ich bin diesbzgl. eher pessimistisch. Der moderne Mensch (Homo sapiens) existiert gerade mal circa 150.000 Jahren und der Urmensch betrat vor circa 4,5 Millionen Jahren die Welt. Das bedeutet, dass das menschliche Dasein lediglich einen Wimpernschlag der evolutionären Geschichte der Welt beträgt. Die Welt existiert im Übrigen seit circa 4.5. Milliarden Jahren.

  • Wir sind ein biologisches Wesen, das durch Gene und Hormone massgeblich geformt und beeinflusst wird.

  • Alle Krankheiten werden auf der Basis des Wissens über die Biologie des Menschen behandelt. Hier kommen naturwissenschaftliche Gesetzmässigkeiten zur Anwendung.

  • Das menschliche Gehirn ist eine evolutionäre Weiterentwicklung der Affengehirne bzw. der Gehirne der gemeinsamen Vorfahren von Affen und Menschen. Es funktioniert allerdings nach den gleichen Prinzipien wie die Gehirne der Affen und aller Säugetiere. Die grundsätzlichen Funktionsprinzipien der Nervenzellen des menschlichen Gehirns findet man selbst bei den einfachsten Tieren (z. B. bei der Fliege).

  • Mit unseren evolutionären Verwandten, den Affen, teilen wir einige grundlegende Verhaltensantriebe. Diese Verhaltensantriebe sind für unsere Lebensgestaltungen von herausragender Bedeutung. Diese Bedeutung wird nicht durch die kulturelle Einbettung des menschlichen Verhaltens und die enorme Lernfähigkeit des menschlichen Gehirns eingeschränkt. Die Lernfähigkeit bzw. Anpassungsfähigkeit des Menschen basiert letztlich auf den grundlegenden biologischen Verhaltensantrieben.

  • Diese Verhaltensantriebe dienen dem ultimativen Zweck des Menschen, dem Überleben und der Fortpflanzung.

  • Das menschliche Gehirn und der Cortex verfügen absolut über die meisten Nervenzellen. Kein Tier verfügt über so viel corticale Nervenzellen wie das menschliche Gehirn. Dieses grosse Netzwerk ist die Grundlage für die vielfältigen Berechnungsmöglichkeiten, die das menschliche Gehirn durchführen kann.

  • Diese enorme Berechnungskapazität ermöglicht das besondere menschliche Denken und Interpretieren.

  • Dieses Denken führt nicht grundsätzlich zu logischen und vernünftigen Schlussfolgerungen, sondern das Denken orientiert sich eher an individuellen Erfahrungen und Interpretationen.




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Aktualisiert: 17. Nov. 2022

Oder wie man die Aufmerksamkeit der Mitreisenden auf sich zieht!


Die digitale Technik ermöglicht uns, an jedem Ort und zu jeder Zeit mit anderen Menschen zu kommunizieren. Die Coronazeit hat diese Möglichkeiten zu Notwendigkeiten werden lassen. Viele haben sich so daran gewöhnt, dass diese Form der Kommunikation stabil in das Verhaltensrepertoire des Gehirns eingebrannt wurde. Selbst in öffentlichen Räumen wird wild darauf loskommuniziert, ohne Rücksicht auf Mithörer. Ohne Scham werden persönliche Dramen und Sorgen mit imaginären Personen ausgetauscht, rechtliche Probleme diskutiert, geschäftliche Fragen erörtert oder das profane Abendessen diskutiert.


Im Prinzip ist ja nichts daran auszusetzen, aber die Häufigkeit, Lautstärke, Aufdringlichkeit und Schamlosigkeit erklimmt gelegentlich erstaunliche Höhen. Die Coronazeit bescherte uns zudem Zoom, Teams, Google Meet oder ähnliche multimediale Möglichkeiten, mit anderen Menschen über den Computer zu sprechen. Man schaut auf wackelnde Köpfe, die grotesk vom restlichen Körper abgeschnitten sind. Eine interessante Folge der digitalen Meetings ist, dass viele digitale Gesprächspartner Kopfhörer tragen, wie Teletubbies aussehen und dann noch lauter und unbeeindruckter drauflosplappern. Kopfhörer sind sicherlich nützlich, um die Gesprächsteilnehmer auf der anderen Seite des Computers besser zu verstehen. Aber man hört die reale Welt um sich herum nicht mehr, oder zumindest nicht mehr so gut. Das beeinflusst dann auch unsere Stimmlage und die Lautstärke, mit der wir sprechen. Je stärker wir unsere Ohren von dem Schall der Umwelt abschirmen, desto lauter sprechen wir. Das ist der sogenannte Lombard-Effekt, ein Reflex, der die Stimme lauter werden lässt, wenn wir uns und die Umwelt nicht mehr so gut hören.


Wenn der Lombard-Effekt im Zug zuschlägt, dann sprechen die Zoom- oder Teams-User reflexartig unnatürlich laut. Gelegentlich hat man den Eindruck, dass sie in die Mikrofone brüllen. Das ist dann irgendwie merkwürdig, denn sie haben trotzdem das Gefühl, sie befänden sich in einem privaten Zwiegespräch ohne fremde Zuhörer. Der Kopfhörer vermittelt dem Sprecher ein trügerisches Gefühl der Abgeschiedenheit und Intimität, die grotesk mit der Öffentlichkeit eines Großraumabteils im Zug kontrastiert. Nur, man befindet sich nicht in der Abgeschiedenheit eines Chefbüros oder einer Schallisolationskammer. Man befindet sich im Zugabteil auf dem Präsentierteller der Öffentlichkeit. Dort hören alle mit, denn die Mithörer können sich diesen Konversationen nicht entziehen.


Besonders aufdringlich sind abrupt einsetzende Klingeltöne von Mobiltelefonen. Diese Klingeltöne sind dazu erfunden worden, um die Aufmerksamkeit des Nachrichtenempfängers auf sich zu ziehen. Das Unangenehme ist allerdings, dass nicht nur der gewünschte Adressat aktiviert wird, sondern auch alle anderen, die im Abteil sitzen. Am Schlimmsten ist es, wenn Klingeltöne verwendet werden, die man auf seinem Mobiltelefon selbst verwendet. Auch aussergewöhnliche Klingeltöne rauben unsere Aufmerksamkeit. Unerwartete und deshalb interessante Reize kann man nicht einfach ausweichen. Sie werden von dem Magneten der Aufmerksamkeit und Orientierungsreaktion unausweichlich angezogen. Man kann ihnen, auch wenn man will, nicht entrinnen. Diese akustischen Reizströme sind umso interessanter und aufdringlicher, je ruhiger und akustisch gleichförmiger die Umgebung ist.


Erreichen uns in solchen Situationen unerwartete akustische Reize, werden Orientierungsreaktionen ausgelöst. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die Reizquelle, um zu überprüfen, ob die Reize für uns eine Bedeutung haben. Der Blutdruck nimmt kurzfristig ab, die Herzfrequenz senkt sich, die Hirngefässe erweitern sich und die Durchblutung der Hirnarterien steigt. Das Gehirn wechselt auch in einen anderen Aktivitätsrhythmus mit charakteristisch oszillierenden Hirnwellen. Hirngebiete sind aktiv, die mit der Verarbeitung externer Reize beauftragt sind. Diese physiologischen und neurophysiologischen Reaktionen haben ein Ziel: Die Umwelt nach interessanten Reizen zu scannen und zu überprüfen, ob sie für uns relevant oder gar bedrohlich sind.


Eine unangenehme Nebenerscheinung ist, dass wir dann auch von den Tätigkeiten abgelenkt werden, denen wir gerade unsere Aufmerksamkeit widmen. Unser Aufmerksamkeitsfokus wird von der Aufgabe losgerissen und auf die neue Aufgabe gelenkt. Will man sich wieder auf die ursprüngliche Aufgabe konzentrieren, muss die Aufmerksamkeit von dem unerwünschten Fokus quasi losgerissen, dann auf die alte Aufgabe gelenkt und an der alten (aber gewünschten Aufgabe) wieder angedockt werden. Diese drei Mechanismen kosten kognitive Ressourcen, was nicht anderes als Energie ist. Das bedeutet, durch solche unerwünschten und unerwarteten äusseren Reize wird unser Gehirn zu zusätzlichem Aufwand veranlasst, der Mühe und Energie kostet.


Ein bisschen anders verhält es sich, wenn man gelangweilt im Abteil sitzt und nicht weiss, wie man seine Zeit rumkriegen möchte. Dann erweisen solche Ablenkreize uns einen guten Dienst. Unser Gehirn hasst „wie der Teufel das Weihwasser“ Langeweile. Solche Distraktoren sind dann willkommene Möglichkeiten, irgendetwas wahrzunehmen und sich in die anregenden Geschichten und Probleme anderer Menschen hineinzuversetzen.

Diese Reize zu ignorieren geht zwar, ist aber nicht trivial. Es erfordert geistige Kraft, denn man muss die lästigen Reize unterdrücken, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.


Also am besten wäre es, wenn die übermässige Kommunikation in Zugabteilen stärker eingeschränkt würde. Man sollte sich bewusst werden, dass man andere stört und unnötig belastet. Man kann sich allerdings auch vor den störenden Gesprächen schützen, indem man im Zug grundsätzlich einen geräuschunterdrückenden Kopfhörer trägt. Diese Geräte sind sehr nützlich, um sich vor den unerwünschten Geräuschen zu schützen. Der Nachteil ist allerdings, dass man wie ein Teletubby aussieht. Aber das ist dann noch das kleinere Übel.

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